Charles Gounod
1818-1893
Les Sept Paroles de N. S. Jésus-Christ sur la Croix
Freitag, 6. April 2001 · 20.00 Uhr · St. Andreas, Köln
Charles Gounod, Les sept paroles de N. S. Jésus-Christ sur la croix (1855)
Zwei Seelen wohnten in der Brust des Musikers Charles Gounod: Eine geistliche und eine weltliche, die Seele des Komponisten geistlicher Werke neben der Seele des Opernkomponisten. Mal hatte die eine Seite die Oberhand, mal die andere, manchmal versuchte er auch, beide zu vereinen.
So schrieb er nicht nur die Nationalhymne des zweiten Kaiserreichs Napoleons III, sondern auch die des Vatikan, die auch heute noch in Gebrauch ist. Gerne nannte er sich übrigens »Abbé Gounod«, obwohl er in seinem ganzen Leben niemals geistliche Weihen erhielt.
Gounod war der Sohn eines Malers und einer Musikerin. Von beiden erbte er das Talent. Als er sich für die Laufbahn des Musikers entschied, mag neben seiner großen Begabung auch die schwärmerische Verehrung für die Mutter eine Rolle gespielt haben. Schon als gerade 20jähriger gewann er den renommierten Rompreis des Pariser Konservatoriums. Die begehrte Prämie war ein mehrjähriger Studienaufenthalt in der Villa Medici in Rom. Die Ewige Stadt war der Höhepunkt aller Bildungsreisen seiner Zeit, wie wir in den Reiseberichten etwa von Goethe, Felix und Fanny Mendelssohn oder Hector Berlioz nacherleben können. Wie ein Schwamm saugte auch Gounod die vielfältigen Anregungen der kultur- und geschichtsgesättigten Ewigen Stadt auf. Besonders die Liturgie der Karwoche in der Sixtinischen Kapelle hinterließ einen tiefen Eindruck. Die Sixtinische Kapelle war der letzten Hort der a-capella-Musik der Renaissance. Ihr Erlebnis blieb nicht ohne Folgen für Gounod. Die Verbindung von Palestrinas Musik und Michelangelos Gemälden überwältigte ihn, schien ihm von einer Person aus einem Geist geschaffen.
Mit missionarischem Eifer kehrte er nach Paris zurück. Er versuchte, die Menschen seiner Umgebung zum wahren Glauben zu bekehren, und als musikalischer Direktor der Èglise des Missions étrangères missionierte er die Gemeinde für Palestrina und Bach - für seine Zeitgenossen ein unerhörtes Anliegen. Die Gemeinde lehnte sich auf und verlangte zeitgenössische Musik. Sein Vorgesetzter bewahrte ihn vor dem Rausschmiss, die Gemeinde wurde aufgeschlossener (oder geduldiger?).
Bald aber rang er um die Anerkennung als Opernkomponist. Diese sollte noch viele Jahre auf sich warten lassen, bis er mit den Erfolgen von Faust (im Land Goethes unter dem Namen Margarethe bekannt) und Romeo und Julia der Liebling der Gesellschaft wurde und Objekt der Klatschspalten in den Journalen.
Parallel zu den ersten Misserfolgen als Opernkomponist schrieb er unermüdlich tief empfundene geistliche Musik im unzeitgemäßen alten Stil. Am erfolgreichsten war er, wenn er beide Sphären miteinander verband: So 1855 mit der Cäcilienmesse, die tiefe religiöse Empfindung mit der Sprache des musikalischen Salons verband. Später vergrößerte er seinen Publikumserfolg, indem er eine Meditation für Violine und 12 (!) Harfen einschob. Den allergrößten Erfolg hatte er jedoch mit jenem Ave Maria, das als Begleitung das C-Dur Präludium aus dem Wohltemperierten Clavier von Bach benutzt. Eigentlich war es als Improvisation nur für den Augenblick entstanden. Sein cleverer Schwiegervater regte jedoch die Veröffentlichung an, mit den angenehmsten finanziellen und gesellschaftlichen Folgen. Im gleichen Jahr komponierte er die Sieben Worte des Erlösers am Kreuz. Das Werk entstand wohl für die Zwecke des Orphéon de la ville de Paris, der Städtischen Musikschule, die er leitete und mit Unmengen von Kompositionen für den Unterricht und interne wie öffentliche Auftritte versorgte.
Die Sept paroles sind jedoch alles andere als ein Gelegenheitswerk. Gounod schuf ein hochkonzentriertes Werk, das für seine Zeit außergewöhnlich war. Eine Vertonung ohne Instrumentalbegleitung, nur für Chor (differenziert in Chor, halben Chor und Solistenquartett) war in Frankreich völlig unbekannt und basiert natürlich auf den Erlebnissen seiner Römischen Jahre in der Sixtinischen Kapelle.
Kompositionen der Sieben Worte (gemeint sind sieben Sätze) Jesu am Kreuz als Zusammenstellung aus den vier Evangelien haben eine lange Tradition. Die bekanntesten unter ihnen stammen von Heinrich Schütz und Joseph Haydn. Gounod vertont ausschließlich den lateinischen Bibeltext. Die Christusworte verbindet er mit dem Evangelienbericht zur Verdeutlichung der Szenen. Als Prolog stellt er die Worte Jesu auf dem Weg nach Golgatha voran: »Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht über mich, sondern weinet über euch selbst und eure Kinder!«. In den Sieben Worten verzichtete er völlig auf äußerliche Effekte. Der werdende Opernkomponist nutzte keine der dem Text innewohnenden dramatischen Möglichkeiten, sondern schuf eine hochkonzentrierte, nach innen schauende Musik. Meist orientierte er sich bis zur Selbstverleugnung am Palestrina-Stil, nur teilweise nutzte er moderne expressive Stilmittel. So zu den Worten Finsternis lag über dem ganzen Land übermäßige Akkorde und zu den Worten Mich dürstet dissonante Chromatik. Es handelt sich sicher nicht um Stellen von zentraler Bedeutung. Was ihm am wichtigsten zu sagen war, sagte er nicht in individueller moderner Tonsprache, sondern er betont das Allgemeingültige, Überzeitliche der Passion mit einem Musikstil, den er als überzeitlich und allgemeingültig ansah. Der letzte Satz »Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist« betont den Abschluss, indem er erstmals nur aus Christusworten besteht und der Chor zur Achtstimmigkeit erweitert wird. In den Schlusstakten steigen die Linien von Sopran und Alt auf, ein Symbol für das Auffahren Jesu zum Himmel. JOACHIM RISCH