Giovanni Pierluigi da Palestrina
ca. 1525-1594
Missa Dies Sanctificatus
Motetten
Giovanni Pierluigi da Palestrina
geboren um 1525 in Palestrina oder Rom
gestorben am 2. Februar 1594 in Rom
Giovanni Pierluigi da Palestrina gehört zu den wenigen Komponisten, die gleichermaßen von ihren Mitmenschen wie von der Nachwelt verehrt wurden. Der päpstliche Kapellmeister prägte nicht nur die geistliche Musik seiner Zeit, sondern blieb das große Vorbild für die katholische Kirchenmusik bis in unser Jahrhundert. Legendären Ruf hat er auch als "Retter der wahren Kirchenmusik" - auch wenn es sich dabei um eine historisch nicht haltbare Legende handelt, die auf das Tridentiner Konzil zurückgeht. Dort sollte neben der Abwehr des Protestantismus auch die Kirchenmusik von verderblichen Einflüssen gereinigt werden. Im Brennpunkt der Kritik stand die polyphone Musik, die das Verstehen des Textes unmöglich machte. Palestrina habe daraufhin die Missa Papae Marcelli komponiert und mit dieser das Konzil überzeugt, daß sich kontrapunktische Meisterschaft und Textverständlichkeit vereinbaren lassen. So verfälschend auch diese Überlieferung ist, so zeigt sie doch, wie sehr Palestrina als Schöpfer zeitloser Meisterwerke auch im Spannungsfeld der großen Politik stand.
Die vierstimmige Motette Dies sanctificatus gehört liturgisch zum Weihnachtsfest. Sie erschien 1563 in Palestrinas erster gedruckten Motettensammlung, so daß man annehmen kann, daß er hier Werke zusammenstellte, die er für besonders gelungen hielt. In Palestrinas Todesjahr 1594 erschien die vierstimmige Missa Dies sanctificatus, die die gleichnamige Motette zur Vorlage hat. Im damals üblichen Parodieverfahren entwickelte Palestrina aus den musikalischen Motiven der Motette alle Messesätze. Nur im Credo (und Teilen des Gloria, das in der Adventszeit nicht gesungen wird) betont er durch geringstimmige und homophone Teile bestimmte Worte. In den anderen Sätzen sind diese bei fast durchgehender Polyphonie kaum zu verstehen. Palestrina unterlegt die Stimmen nur spärlich mit Text und überläßt die Verteilung der Worte weitgehend den Sängern. Da die gebildeten Gläubigen den lateinischen Meßtext ohnehin auswendig kannten, war in einer Vertonung des Meßordinariums die Textverständlichkeit von geringer Bedeutung. Der überwiegende Teil der Gläubigen war durch das Bestehen des Konzils auf der lateinischen Sprache weiterhin vom Verstehen ausgeschlossen und war zum Verfolgen der Messe ganz besonders auf die Qualität der Musik angewiesen. Die Motette Canite tuba erschien 1572. Der Text entstammt einer adventlichen Vesperantiphon:
Canite tuba in Sion,
quia prope est dies Domini:
ecce veniet ad salvandum nos,
alleluia.
Die fünfstimmige Satzweise der Motette war damals hochmodern. Palestrina nutzt hier die Möglichkeiten der zwei Diskantstimmen, die sich häufig in gleicher Lage abwechseln, zur Steigerung der Klangpracht, was der musikalischen Deutung des Textes dient. 'Der Gesang soll so erfolgen, daß er nicht nur leerer Ohrenschmaus ist, sondern so, daß die Worte von jedermann klar verstanden werden können und die Herzen der Zuhörer daher von Sehnsucht nach himmlischer Harmonie erfüllt werden in der Betrachtung der Freuden der Seligen.' In diesem Dekret des Tridentiner Konzils vom 17.9.1562 spiegelt sich der Glaube des Renaissance-Menschen an die Allmacht des Wortes und des Verstandes. Palestrina jedoch ordnet die Musik nicht dem Primat des Wortes unter. Die überzeitliche Bedeutung seiner Musik liegt gerade darin, eine über den Ver-stand hinausreichende Dimension hinzuzufügen. Die Sehnsucht nach himmlischer Harmonie hat er damit viel umfassender ausgedrückt als es das Konzil vorgegeben hatte.
© Joachim Risch, 1997