Joseph Haydn
1732-1809
Die Schöpfung
Joseph Haydn
geboren am 31. März 1732 in Rohrau (Niederösterreich)
gestorben am 31. Mai 1809 in Wien
Die Schöpfung
»Schon sind drei Tage seit dem glücklichen Abende verflossen, und noch klingt es in meinen Ohren, in meinem Herzen, noch engt der Empfindungen Menge selbst bei der Erinnerung die Brust mir«, schrieb der Korrespondent des Neuen teutschen Merkur nach der Uraufführung von Joseph Haydns Oratorium »Die Schöpfung« vom 29. April 1798. Wie dieser Kritiker war die musikliebende Welt der einhelligen Meinung, daß Haydn hier ein einzigartiges Werk geschaffen hatte. Für den Rest seiner Tage galt er vor allem als Komponist der »Schöpfung«, der herausragende Erfolg des Werkes dauert bis heute an. Auch Haydn selber war, bei aller Bescheidenheit, besonders stolz auf dieses Werk.
Als Haydn 1796 mit der Vertonung der »Schöpfung« begann, war er als erster Komponist seiner Zeit allgemein anerkannt. Diese Anerkennung kam spät: Jahrzehntelang war er am Hofe des Fürsten Nikolaus I. von Esterházy fast abgeschnitten vom Geschehen der musikalischen Zentren. Er litt darunter, regelmäßig ungeheure Mengen von Kompositionen für den (oft nur einmaligen) Gebrauch am Hofe liefern zu müssen. Nach dem Tod des Fürsten im Jahre 1790 wurde er von dessen Nachfolgern zwar weiter entlohnt, aber sie erwarteten weder viele Kompositionen von ihm noch legten sie Wert auf seine ständige Anwesenheit. Haydn genoß diese ungewohnte Freiheit. Auf zwei ausgedehnten Englandreisen wurde er enthusiastisch gefeiert. Auch in Wien begann man ihn allmählich zu schätzen. Obwohl Haydn nun schon ein alter Mann war, steigerten die angenehmen Lebens- und Arbeitsbedingungen noch einmal seine Schaffenskraft. Finanziell bestens abgesichert, konnte er nun selbst entscheiden, was und wie er komponierte.
Diese Epoche des Haydnschen Schaffen steht am Beginn einer neuen Ära der Stellung der Komponisten. Bisher waren sie (wie auch Haydn) rangniedrige Bedienstete weltlicher oder geistlicher Fürsten und von deren Wünschen und Launen abhängig. Mozarts Versuch, sich davon zu lösen, war bekanntlich nicht sehr erfolgreich verlaufen. Die weitaus angesehenere und unabhängige Stellung des Tonkünstlers im 19. Jahrhundert hatte seine Wurzeln im gesellschaftlichen Wandel des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Träger des Kulturlebens wurde jetzt das gebildete Bürgertum neben dem aufgeklärten Adel.
Die Entstehung der »Schöpfung« markiert diesen Wandel. Zwar entstand auch sie als Auftragskomposition. Aber der Auftraggeber, der Präfekt der kaiserlichen Hofbibliothek und ausgezeichnete Musikkenner Baron Gottfried von Swieten, arbeitete selbst das Textbuch aus und versah es mit einer Fülle von Anregungen für die Vertonung. Und er warb einen Kreis von zahlungskräftigen Förderern, die mit einem großzügigen Vorschuß eine Arbeit ohne Zeitdruck ermöglichten. So konnte Haydn zwei Jahre lang intensiv an der Vertonung arbeiten - Bedingungen, die vorher undenkbar gewesen wären.
Frei von allen formalen Grenzen des gängigen Oratorienstils preist der Komponist in kraftvollen Bildern die Herrlichkeiten der Schöpfung und des göttlichen Plans. Durch Verwendung der deutschen (statt der üblichen italienischen) Sprache konnte er von allen Volksschichten verstanden werden. Tonmalereien spielen eine wichtige Rolle. In ihnen macht er es dem Hörer unabhängig von der musikalischen Vorbildung leicht, den Text in der Vertonung wiederzuerkennen. Die Erschaffung des Lichts, Stürme, Donner, Blitz und das Tanzen der Schneeflocken, girrende Tauben, brüllende Löwen, Insektenschwärme und kriechendes Gewürm sind unschwer herauszuhören.
Besonderen Eindruck hinterließ bei den Zeitgenossen die »Vorstellung des Chaos«, die an Stelle der traditionellen Ouvertüre die Einleitung bildet. Nicht mit vordergründig dissonanten Mitteln stellt er das Chaos dar, wie es vielleicht nahegelegen hätte. Solch drastischer Mittel bedienten sich Barockkomponisten oder auch Mozart im »Dorfmusikantensextett«. Haydn hingegen verband eine erweiterte Harmonik mit vielfältigen artikulatorischen und rhythmischen Elementen, die den Eindruck des Ungeordneten, noch nicht Zusammenhängenden schaffen.
In der Vertonung finden sich in vielfältiger Weise Zeugnisse von Haydns innerer und äußerer Freiheit. So ist das Oratorium, obwohl es ein religiöses Werk ist, keineswegs Musik nur für die Kirche. Es war weder für die Kirche bestimmt noch wurde es unter Haydn in einer Kirche aufgeführt. Die »Schöpfung« richtet sich an ein aufgeklärtes Publikum, das sich in seinem Glauben niemandem unterordnen wollte.
Bezeichnend für Haydns Absichten sind die unterschiedlichen Tendenzen des Textbuches und seiner Vorlage, des umfangreichen Epos »Das verlorene Paradies« von John Milton. Miltons Thema war in erster Linie der Einfluß des Satans auf den Sündenfall. Van Swietens Text basiert auf einer Episode dieses Epos, aber in ihm kommen weder Satan noch Sündenfall vor. Keine Schatten fallen auf die Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung. Das Fehlen des Sündenfalls wurde Haydn von Vertretern der Kirche ernstlich vorgeworfen, obgleich der biblische Sündenfall ja erst nach der Vollendung der Schöpfung stattfindet.
Der gelegentlich erhobene Vorwurf, es handle sich um ein areligiöses Werk ist jedoch nicht zutreffend. So schrieb Haydn selbst: »Ich war noch nie so fromm, als während der Zeit, da ich an der ‚Schöpfung‘ arbeitete; täglich fiel ich auf die Knie und bat Gott, daß er mich stärke für mein Werk.«
Ein deutliches Licht auf Haydns Einstellung wirft sein Brief an den böhmischen Schulmeister Karl Ockl. Dieser wollte die »Schöpfung« in der Dorfkirche aufführen, was ihm aber seine Vorgesetzten untersagten. Die Dorfbewohner führten das Oratorium trotzdem auf und entführten Ockl zum Schein, um ihm Ärger mit der Obrigkeit zu ersparen. Den Ärger bekam er trotzdem. Haydn schrieb ihm zu seiner Unterstützung: »Es freute mich ungemein zu hören, daß mein Oratorium von allen Musikfreunden in jener Gegend eben den Beyfall erhielt, den es beynahe schon im größten Teil von Europa zu erhalten das Glück hatte; aber zu meinem größten Erstaunen mußt‘ ich die daraus entstandene sonderbare Geschichte vernehmen, die in der Zeitepoche, in der wir leben, sicher dem Kopf und Herzen des Urhebers davon wenig Ehre zu machen scheint. Seit jeher wurde die Schöpfung als das erhabenste, als das am meisten Ehrfurcht einflößende Bild für den Menschen angesehen. Dieses große Werk mit einer angemessenen Musik zu begleiten, konnte sicher keine andere Folge haben, als diese heiligen Empfindungen in dem Herzen des Menschen zu erhöhen, und ihn in eine höchst empfindsame Lage für die Güte und Allmacht des Schöpfers hinzustimmen. – Und diese Erregung heiliger Gefühle sollte Entweihung der Kirche sein?«
JOACHIM RISCH