Johann Christoph Friedrich Bach
1732-1795
Der Tod Jesu (Oratorium)
Miserere
Ich lieg und schlafe
Wachet auf, ruft uns die Stimme
Johann Christoph Friedrich Bach
geboren am 21. Juni 1732 in Leipzig
gestorben am 26. Januar 1795 in Bückeburg
Die musikalische und musikhistorische Bedeutung des zweitjüngsten Sohnes des Thomaskantors ist bisher noch bemerkenswert zurückhaltend beleuchtet, vergleicht man etwa die Renaissance, die Carl Philipp Emanuel Bach seit einigen Jahren erlebt, mit dem Schattendasein des 'Bückeburgers'.
Bei jenem hatte der 200. Todestag 1988 großen Anteil an einer vermehrten Beachtung, und so mag das 200 Jahre zurückliegende Todesdatum von Johann Christoph Friedrich Bach auch bei diesem neue Auseinandersetzungen mit seinem Leben und Werk anregen. Seine Außenseiterposition unter den Bachsöhnen deutet sich schon im frühen Zeugnis C. F. Cramers an:
"Er [J. S. Bach] hatte deren [Söhne] drey: Christian Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, und Friedemann Bach; (den vierten in Bückeburg rechne ich nicht mit dazu; weil der nicht eigentlich zu den ... Bachen! gehört.)"
Johann Christoph Friedrich Bach war 45 Jahre seines Lebens in Bückeburg tätig, an einem Hof, der trotz aller Kunstsinnigkeit der Regenten doch eher klein und unbedeutend war. Sein Werk, das dem aufkommenden Geniekult seiner Zeit keine ausreichende Nahrung gab, sowie sein bescheidenes Leben, das so wenig Aufsehen erregte wie seine Musik, mögen mit dazu geführt haben, daß er vielfach als Epigone seiner berühmten Familie beurteilt wird.
Am 21. Juni 1732 wird er in Leipzig als vierter Sohn aus der Ehe Johann Sebastian Bachs mit Anna Magdalena geboren. Sein Lebenslauf beginnt wie der seiner "bedeutenderen" Brüder: Er erhält eine Ausbildung an der Leipziger Thomasschule sowie musikalischen Unterricht durch seinen Vater. Wilhelm Friedemann, der Lieblingssohn des alten Johann Sebastian, hielt seinen jüngeren Bruder als Cembalist für den "stärksten Spieler" unter ihnen, der "seines Vaters Claviercompositionen am fertigsten vorgetragen" habe. Mit 17 Jahren beginnt Friedrich ein Jurastudium an der Leipziger Universität, bricht dieses aber bald darauf, noch vor dem Tod des Vaters, wieder ab und folgt um die Jahreswende 1749/50 als gerade 18jähriger dem Ruf, als "Hochgräflich Schaumburg-Lippischer Cammer-Musicus" am Hof in Bückeburg in Dienste zu treten. Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe, der 1748 seinem Vater als Regent des kleinen Territoriums gefolgt war, hatte sich von der königlichen Hofmusik am Hofe Friedrichs II. in Potsdam stark beein-druckt gezeigt und feste Pläne gefaßt, in seiner Residenz diesem Vorbild nachzueifern.
Am Bückeburger Hof waren derzeit die beiden Italiener Angelo Colonna als Konzertmeister und Giovanni Battista Serini als Kapellmeister und Komponist tätig. Bach lernte hier den Stil der italienischen Oper und Kantate kennen, da in den mindestens zweimal wöchentlich stattfindenden Concerten, die in der Regel spätnachmittags gegeben wurden, vor allem Vokalmusik aufgeführt wurde. Dazu unterhielt die Hofkapelle eine Sängerin, Lucia Elisabeth Münchhausen, Tochter des Hofmusikers Ludolf Andreas Münchhausen, die durch den Unterricht des Konzertmeisters Serini in die italienische Gesangskultur eingeführt wurde.
Bachs erste Jahre in Bückeburg dürften ihm noch wenig Möglichkeiten zur Entfaltung einer eigenen künstlerischen Persönlichkeit geboten haben, jedenfalls sind aus dieser Zeit keine datierten Kompo-sitionen aus seiner Hand erhalten. Er eignete sich jedoch in dieser Zeit offenbar den Stil der am Hof gespielten Musik an, den er später auf dem Hintergrund seiner Ausbildung durch den Vater zu adaptieren wußte.
Am 8. Januar 1755 heiratete Bach die Hofsängerin Münchhausen, die bald darauf ihren Unterricht bei Serini einstellte. Der italienische Kapellmeister verließ im folgenden Jahr, ebenso wie Colonna den Bückeburger Hof, worauf Bach nun die Leitung der Hofkapelle übertragen wurde. Neben der Leitung der Konzerte hatte er für die Anschaffung und Komposition neuer Musik zu sorgen. Auf Betreiben des Grafes wurde dazu auch Kontakt mit Musikern anderer Adelshöfen aufgenommen, um Notenmaterial zu erbitten. Graf Wilhelm hatte den Ehrgeiz, in seiner Musikbibliothek den neuesten Entwicklungen des Musikgeschmacks zu folgen. Durch den herrschenden siebenjährigen Krieg wurden die Personalangelegenheiten des Hofes nur langsam geordnet, weswegen Bach erst 1759 offiziell zum Hofkapellmeister ernannt und mit einer Gehaltsverdoppelung von 200 auf 400 Reichstaler bedacht wurde, während seine Frau weiterhin ihr Gehalt von 100 Talern für ihre Dienste als Sängerin empfing.
Ebenfalls in diesem Jahr wurde Wilhelm Friedrich Ernst, ihr ältester Sohn von insgesamt acht Kindern geboren, über den der Graf auf Bachs Bitte hin die Patenschaft übernahm. Wilhelm war der letzte Musiker in der direkten Nachkommenschaft Johann Sebastians. Als 1767 Telemann in Hamburg starb, unternahm Johann Christoph Friedrich Bach - soweit wir wissen - seinen einzigen Versuch, seine Stellung in Bückeburg gegen eine bessere zu tauschen und bewarb sich als Musikdirektor in Hamburg; bei der Vergabe der Stelle wurde ihm jedoch sein älterer und bekannterer Halbbruder Carl Philipp Emanuel vorgezogen. Dies führte aber nicht zu einer Trübung der geschwisterlichen Beziehungen, sondern es entwickelte sich ein eher verstärkter Kontakt und Austausch von Anregungen und Kompositionen mit dem Bruder in der Hansestadt.
Johann Christoph Friedrich Bach begann nun eine intensive Schaffensphase. Neben vielen Kammermusikwerken und Klaviermusik komponierte er um 1769 seine ersten Oratorien Die Pilgrime auf Golgatha von Friedrich Wilhelm Zachariae und Der Tod Jesu in der zweiten Textfassung von Karl Wilhelm Ramler (1760), dessen Erstfassung schon Graun (1755) und Telemann (1756) erfolgreich vertont hatten. Ebenfalls aus der Zeit vor 1770 stammen die ersten neun seiner insgesamt 19 uns bekannten Sinfonien, zehn weitere entstanden in einer späteren Phase zwischen 1792 und 1794.
Die Berufung Johann Gottfried Herders (1744-1803) als Hofprediger und Konsistorialrat nach Bückeburg im Jahre 1771 führte zu fruchtbarer Zusammenarbeit und einer Freundschaft zwischen dem Dichter und dem Komponisten. Aus ihrem gemeinsamen Schaffen stammen die Oratorien Die Kindheit Jesu und Die Auferweckung des Lazarus (1773) sowie einige Kantaten und zwei dramatische Werke (Brutus und Philoktetes, beide 1774), wobei der kritische Herder offenbar in der engen Zusammenarbeit mit Bach seine musikästhetischen Ansichten in die Praxis umgesetzt sah. Diese Phase, die für Bach wohl die geistig anregendste Zeit in Bückeburg war, endete 1776 mit der Berufung Herders nach Weimar, die insbesondere auf Goethes Betreiben hin zustande gekommen war.
Als ein Jahr nach dem Tod der Gräfin 1776 auch Graf Wilhelm starb, der den Mittelpunkt des kulturellen Lebens am Hof dargestellt hatte, suchte Bach offenbar nach neuen Anregungen für seine Tätigkeit. Diese fand er während seiner einzigen größeren Reise im Frühsommer 1778, auf der er gemeinsam mit seinem Sohn - über eine Zwischenstation in Hamburg - zu Johann Christian Bach nach London fuhr, wo der junge Wilhelm seine weitere Ausbildung erhalten sollte. In London lernte Friedrich in den Konzerten seines Bruders die Musik Mozarts und Glucks kennen, die ihn von da an stark interessieren und beeinflussen sollte.
Bach widmete sich weiterhin der Hofkapelle und führte sie zu so großem Ansehen, daß Forkel 1782 der Bückeburger Hofkapelle unter den besten Orchestern in Deutschland den vierten Rang einräumte. Daneben stand die Klaviermusik im Mittelpunkt seiner Kompositionen. Horstig, der Verfasser seines Nekrologs, beschreibt, wie er tagelang "[a]uch wenn ihn niemand hörte [...] auf seinem englischen Pianoforte, welches er aus London mitgebracht hatte [phantasierte]".
Nach dem Tod des Grafen Philipp Ernst im Jahr 1787 übernahm Gräfin Juliane als Vormund des erst zweijährigen Erbprinzen die Regierung. Die musikliebende Regentin schenkte Bach in seinen letzten Wirkungsjahren in Bückeburg die dem Künstler notwendige Achtung und Anerkennung. Juliane erhielt täglich Unterricht auf dem Klavier und wirkte auch in Oratorienaufführungen als Sängerin mit.
Die letzten Lebensjahre Bachs zeigen ihn noch einmal sehr arbeitsam und produktiv. 1787/88 gibt er eine Auswahl leichter Werke in vier Heften unter dem Titel Musikalische Nebenstunden heraus. Darin findet man zahlreiche Klavierwerke und Kammermusik, aber auch Klavierauszüge weltlicher Kantaten. Angespornt durch seinen Kollegen und späteren Nachfolger Franz Neubauer schreibt er in weniger als drei Jahren zehn Sinfonien und zwei Klavierkonzerte, die heute zum größten Teil noch auf Editionen und Wiederaufführungen warten.
Am 26. Januar 1795 starb Johann Christoph Friedrich Bach "an einem hefftigen Brust-Fieber" nach 45jähriger Tätigkeit in Bückeburg, wo er am 31. Januar begraben wurde. An seinem Grab auf dem Jetenburger Friedhof in Bückeburg, in dem 1803 auch seine Witwe beigesetzt wurde, versammelten sich nach dem 1. Weltkrieg die Mitglieder des neugegründeten Fürstlichen Instituts für musikwissenschaftliche Forschung Bückeburg, darunter Georg Schünemann, der sich als erster intensiv mit dem Leben und Werk des Bachsohnes auseinandergesetzt hat. Seine Studie ist noch immer Grundlage und Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit dem Komponisten, alleine schon weil er trotz kriegsbedingter Schwierigkeiten, entfernteres Quellenmaterial zu erreichen, die Bückeburger Hofbibliothek noch zu Verfügung hatte. Das musikwissenschaftliche Institut Bückeburg, dessen Bestand 1934 zwangsweise nach Berlin gebracht wurde, ist in den letzten Kriegsjahren nach Schlesien verlagert worden, und nur ein geringer Teil ist inzwischen über Moskau zurück nach Berlin gelangt, darunter jedoch keine Autographe Bachs. Demnach mußte das von Hannsdieter Wohlfarth veröffentlichte Werkverzeichnis, das im Zusammenhang mit einer umfangreichen Studie der Bachschen Instrumentalmusik entstand, viele Autographe als verschollen angeben, die Schünemann noch vorlagen. Nach Wohlfarths Veröffentlichung wurden einige weitere Werke des Bückeburgers ausfindig gemacht, so daß ein neues Werkverzeichnis, das in Zusammenhang mit einer Ausstellung in Bückeburg zum 200. Todestag durch das Leipziger Bach-Archiv erstellt wurde, einen neuen Überblick über das derzeit bekannte Werk und die heutige Quellenlage geben wird.
Literatur
- Carl Friedrich Cramer: Menschliches Leben, Kiel 26.10.1793; hier zitiert nach Dokument Nr. 973 in: Bach-Dokumente, Bd. 3, hg. von Hans-Joachim Schulze [Suppl. zu NBA]. Kassel etc. u. Leipzig 1972.
- Forkel, Musikalischer Almanach für Deutschland auf das Jahr 1782, Leipzig [1781], 130.
- Horstig, [Nekrolog] "Johann Christoph Friedrich Bach", in: Friedrich von Schlichtegroll, Musiker-Nekrologe, neu hg. von Richard Schaal. Kassel u. Basel [o. J.], 10.
- Georg Schünemann: "Johann Christoph Friedrich Bach." Bach-Jahrbuch 11 (1914), 46-167.
- ders.: "Friedrich Bachs Briefwechsel mit Gerstenberg und Breitkopf." Bach-Jahrbuch 13 (1916), S. 20-35.
- ders.: "Thematisches Verzeichnis der Werke von Johann Christoph Friedrich Bach." Denkmäler Deutscher Tonkunst 56 (1917), Neuaufl. hg. von Hans Joachim Moser, Wiesbaden u. Graz 1956.
- Hannsdieter Wohlfarth: "Neues Verzeichnis der Werke von Johann Christoph Friedrich Bach." Die Musikforschung 13 (1960), 404-417.
- ders.: Johann Christoph Friedrich Bach als Instrumentalkomponist. Diss. Univ. Heidelberg 1968; wieder u. d. T.: Johann Christoph Friedrich Bach. Ein Komponist im Vorfeld der Klassik. Bern u. München 1971. (Neue Heidelberger Studien zur Musikwissenschaft; 4.) [Enthält revidierte Werkliste.]
- Beverly Jung Sing: Geistliche Vokalkompositionen zwischen Barock und Klassik. Studien zu den Kantatendichtungen Johann Gottfried Herders in den Vertonungen Johann Christoph Friedrich Bachs. Baden-Baden 1992. (Sammlung musikwissenschaftlicher Abhandlungen; 83.)
Ein neues Werkverzeichnis, das von Ulrich Leisinger (Bach-Archiv Leipzig) im Rahmen des Forschungsprojektes Bach-Repertorium an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig erarbeitet wird, steht vor dem Abschluß. Ich danke Herrn Dr. Leisinger für zahlreiche Hinweise zum Stand der Forschungen über Johann Christoph Friedrich Bach.
© Thomas Gebhardt, 1995